Eine praxisbetonte Kunst- und Technik - Fortbildung für Erwachsene in Form eines Workshops
4. und 5. Oktober 2023
Ichenhausen empfing uns mit einem klappernden Storchenpaar auf einem Nest auf dem Schulhaus. Vor dem Museum steht ein runder Brunnen, in dessen Mittelpunkt wiederum ein Storchenpaar steht wie in einem Nest, die langen Beine wie die Schenkel eines Zirkels gespreizt, Ziffern auf dem Brunnenrand.
Wir laden das rote Auto aus und füllen das Atelier mit unseren Kisten und Geräten. Die Werkzeuge gleich in geöffneten Kisten an den Rand gestellt, die Wachstuchdecken brauchen wir nicht. Das Atelier ist gut ausgestattet mit Farben aller Art, Schränken mit Papier und Kisten mit anderen Materialien. Herrliches buntes Potential. Wir werfen noch einen Blick in das auch sehr schöne historische Klassenzimmer nebenan. Aber welch ein Unterschied!
MITTWOCH | 4. Oktober 2023
Um 9.00 sind alle versammelt, die Vornamen werden auf Klebstreifen geschrieben und auf die Brust gedrückt, alle duzen sich. Bei Workshops mit Kindern sind wir lieber Herr Bilger und Frau Ziegler – das wirkt ein bisschen wie ein Puffer, ein freundlicher Abstandshalter, wenn die Kinder im Eifer des Gefechts Hilfe suchend durch den Raum rennen und uns am Ärmel zupfen, oder gleich quer durch den Raum rufen.
Wir beginnen, wie auch bei den Kursen mit Kindern, mit dem Physikcrashkurs mittels mechanischer Spielsachen. Wir führen die Objekte vor, fragen nach dem Wie und Warum. Die Kursteilnehmer*innen erklären, wie es funktioniert und kennen die physikalischen Gesetze schon: Schwerkraft, Fliehkraft, Reibung, Hebel…der Exzenter versetzt auch die Großen in Erstaunen und Begeisterung. Das dann folgende Experimentieren mit den kleinen Klettertieren, Jojos, Küchenquirls und Mausefallen ist intensiv - es wird ganz genau beobachtet, wie der Specht an der Feder nach unten wackelt. Gute Laune und Erinnerungen, Aha-Momente und Stirnrunzeln. Über die auf der Schwerkraft beruhende Kunst des Marienkäfers auf der Rampe, der Dank des eigenen Gewichtes sowohl nach unten läuft als auch die Bewegung kontrolliert - in seinem kleinen Holzkopf. Auch unseren Allrounder, das Modell zum Nachbau, stellen wir vor. Die Kurbel bewegt eine Achse, darauf steckt ein senkrechtes Rad, ein Gummiriemen transportiert die Drehbewegung auf ein anderes, das waagrecht steht. Dann gibt es noch eine klappernde Wippe und eine schleifende Exzenterbewegung. Schon sehr komplex für zwei Tage.
Auch ein Tagebuch haben wir für alle dabei. In den Kursen gibt es für jeden Tag eine Doppelseite. Das Heft dient der Planung, dem Entwerfen, der Reflexion, aber auch der Entspannung und dem Rückzug. Und es hält uns den Rücken frei. Hier soll es nun genutzt werden, die einzelnen Schritte zu dokumentieren, jeder für sich. Überschrift und Name werden auf das Cover geschrieben, dann beginnen wir mit der Grundplatte. Alle 12 Kanten werden geschliffen, zwei Lattenstücke mit der japanischen Zugsäge abgesägt und mit dem Akkuschrauber an die Platten geschraubt.
Für die Seitenstützen muss nun die erste Formentscheidung getroffen werden. Hat die Maschine ein Motto? Unser Modell stellt eine Art Küchenzeile dar – quirlen, hacken, klopfen. Ideen fliegen durch den Raum. Ich möchte einen Garten machen – Bei mir geht es um Tiere – Sommer am Strand – ein Leuchtturm…Eine Musikmaschine! Ein paar Skizzen im Heft müssen genügen. Das Laubsägen geht leicht von der Hand, wenn man es ohne Kraft und Druck tut. So entstehen die ersten Form-Teilchen, ein filigraner Violinschlüssel, eine Blume, eine Gießkanne, ein Mühlenrad mit Schaufeln. Für die kleinen Teile gibt es eine faltbare Pappkiste.
Anfangs planten wir, die Schritte, die wir mit den Schulklassen immer gemeinsam gehen, damit alle den Überblick behalten (und damit niemand in Panik gerät: "ooh, ich hab das noch gar nicht!") Aber schnell spaltet sich die Gruppe strahlenförmig auf, schnell entfalten alle ihr Potential auf eigenen Wegen. Während wir bei einer Maschine die Stützen aufstellen, hat eine andere bereits einen farbigen Boden bekommen, sammeln sich in der einen Kiste Delfine und Krokodile. In jedem Fall aber muss alles geschliffen werden. Wir werfen uns in den Strom und helfen und halten. Ein rasantes Tempo herrscht im Raum. Mittags Pizzapause, später Kaffee und Kuchen halten uns dabei bestens am Leben. Es gibt zwei Stabstärken (9 mm und 6 mm) und entsprechende Bohrerstärken. Soll ein Stab stecken, muss die Größe die gleiche sein. Soll der Stab sich drehen, nehmen wir einen Millimeter größer. Die Stützen werden so an die Platte geschraubt, dass sich eine 9mm Achse parallel zur Platte leicht in zwei Zehnerlöchern bewegen lässt.
Für die Räder werden an der Ständerborhmaschine Kreise gesägt und an zwei kleinere Scheiben geklebt. Steckt man die Räder auf einen Stab in den Akkubohrer, kann man sie kinderleicht schleifen und mit drangehaltenen Buntstiften Spiralen und perfekte Kreise malen. Das Rad bekommt ein Loch in der Größe 9mm.
DONNERSTAG | 5. Oktoberber 2023
Morgens um 8 bekommen wir eine kleine Führung durch das schöne Museum. Vielen Dank auch dafür!
Um 9.00 sind alle wieder versammelt. Ein bisschen Reflexion, bevor wir weitertoben. Es gibt ein paar technische Blätter für das Tagebuch, die Hebel und Exzenter erklären, aber auch Tinguely wird vorgestellt und die charmante Arbeit eines mittelalterlichen Konstruktionszeichners Al Dschazari aus dem Orient. Igelige Zahnräder…
Auch über Praktisches beraten wir: Könnte der ortsansässige Maschinenhersteller möglicherweise ein paar Akkuschrauber sponsern? Gäbe es einen Tischler, der ein paar Räder herstellen kann? Wie kann man das Projekt vereinfachen und damit leichter umsetzbar machen? Man könnte unser Modell reduzieren: Eine Grundplatte, darauf aber nur eine der verschiedenen Funktionen umsetzen: das Karussell o d e r den Exzenter o d e r die Klopffunktion. Ein anderes Beispiel für ein einfaches Objekt ist ein kleiner Pinguin aus der Spielzeugkiste, der auf zwei Rädchen mit dezentralen Achsenlöchern sehr lebendig heranwackelt. Oder der einfaltbare Reisekreisel aus Spateln. Vielleicht bauen wir das später noch.
Wir betrachten die Arbeit vom Vortag und definieren, was noch fehlt, was noch dazu kommen soll. Doch kaum haben wir wieder begonnen zu bauen, verdoppelt sich das Tempo und es summt die Luft. Alle sind hochkonzentriert. Bauen und sägen, schleifen und zeichnen. Irgendwann am Nachmittag fängt eine Stimme an, leise ein Lied zu summen. Andere stimmen ein, eine zweite, eine dritte Stimme in verschiedenen Lagen. Das ist sehr hübsch!
Eigene Erfindungen erfordern eigene Lösungen. Es gibt einiges zu tüfteln, manchmal ist viel Ausprobieren nötig, damit sich alles dreht und regt, damit nichts hängt und bremst. Unser Modell wird variiert und verändert interpretiert. Das ist die Kür, hier macht es richtig Spaß. Es gibt für alles eine Lösung.
Am frühen Nachmittag wird sichtbar, dass alles fertig werden und wie es aussehen wird. Ein Frosch bekommt noch eine Fliege vor den Mund, einem Bäumchen fliegen ein paar winzige Äpfel um den Stamm. Es gibt mit farbiger Scheinwerferfolie hinterklebte Leerformen, in denen das Tageslicht leuchten und bunte Schatten werfen kann. Jede Maschine hat Charakter. Das ist immer so. Weil alle nicht funktionalen Elemente selbst und ganz frei gestaltet werden, gibt es viel Raum für die Kunst.
Nach dem Aufräumen wird jede Maschine einzeln vorgestellt. Alle können in Ruhe schauen, was entstanden ist, und zuhören, wie es dazu kam. Schön war es für alle, was uns freut. Die Verblüffung bei vielen in der Gruppe, was an zwei Tagen alles möglich war. Anfangs scheu und manchmal Unbehagen, aber das verschwand schnell. Das ist eine häufige Erfahrung bei unseren Kursen. Kinder können Selbstvertrauen gewinnen. Auch die Werkzeuge werden noch einmal beim Namen genannt. Ein mögliches Abschlussritual. Sich erinnern an die geleistete Arbeit, ein Lieblingswerkzeug nennen…schließlich sind wir vor lauter Bauen nicht dazu gekommen, die Werkzeugkiste zu malen.
Und ganz zum Schluss stellen wir die Maschinen auf eine lange Tischreihe und lassen alle gemeinsam laufen. Tivoli in Ichenhausen!
. . ...weniger
Doku | PDF