ein Kooperationsprojekt mit Studierenden im 3. Jahrgang,
13./14. + 21./22. Februar 2014
Dokumentation eines Workshops an der Humanistischen Fachhochschule für Sozial-pädagogik. Dieses für Grundschüler entworfene Projekt haben wir mit einer Teilzeitklasse an der HFB an 4 Tagen im Februar 2014 (Do+Fr, 13/14. und 20/21 ) durchgeführt. Dabei wurde der zeitliche und inhaltliche Ablauf kopiert, die Gespräche waren naturgemäß reflektiert in Bezug auf den Umgang mit und die Wirkung auf Kinder.
EIGENHÄNDIG HERGESTELLTE NERVTÖTER
musikalische Ungeduld und komponierte Unruhe
ein Kunst-und-Technik-Projekt
von Christian Bilger und Julia Ziegler
DAS THEMA
Die Hände sind für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit, die sie einsetzen, um in der Welt klarzukommen. Der erste Griff war bei den meisten nach der Mutterbrust, später kommen Spielzeug, Essen, die eigenen Füße, Mützen, Katzen, Stifte dazu.
Noch etwas später drückt man hochkonzentriert in komplexer Reihenfolge die Tasten eines Klaviers – oder klopft unbewusst und voller Ungeduld auf eine Tischplatte, so dass es sich nach gestrecktem Galopp anhört. Die Hände still halten – nicht mit einem Stift herumspielen, etwas kneten oder knautschen, sich am Kopf kratzen... – nicht nur für Kinder im Unterricht ist das manchmal ein Ding der Unmöglichkeit. Die Unruhe will über die Hände und Füße aus dem Körper.
Wir möchten den wertvollen, wunderbaren Händen etwas Aufmerksamkeit schenken.
Sie sind genial konstruiert und tun meist, was wir wollen, aber um komplexe Dinge wie schreiben oder musizieren zu lernen, muss man sich schon plagen.
Im Alltag kommen sie in ihren vielfältigen Möglichkeiten oft zu kurz.
Zeichnen lernen ist ja unnötig –man kann ein Foto machen, Pullover und Möbel kann man kaufen, die Schleife ist durch den Klettverschluss ersetzt.
Bei all unseren Projekten dürfen die Kinder sägen, bohren, malen...wir trainieren durch die Gewichtung des Handwerklichen die Fähigkeiten der Hand. In diesem Projekt wird das zum Thema gemacht – die Verbindung von Hand und Auge, Hand und Kopf, der Ursprung des Wortes "begreifen".
Das Thema Hand gibt noch mehr her:
Die Anatomie der Hände im Unterschied zu Pfoten, die individuelle Ausprägung,
Redewendungen, die das Wort Hand beinhalten (von der Hand in den Mund, im Handumdrehen...), Darstellungen von Händen in der Kunst, eigene Versuche - sie sind sehr schwer zu zeichnen. Hände können zärtlich sein und grob, Gutes und Schlechtes anrichten. Den Gehörlosen ersetzen sie die Stimme, der Sprechenden verhelfen sie zum Ausdruck.
Indem jedes Kind ein Händepaar baut, das sich bewegen kann – Klavierspielen eben oder einen Rhythmus klopfen - setzt es sich mit den eigenen Händen auseinander.
DIE PRAXIS
Wir bauen mechanische Hände, jeder Schüler baut ein Händepaar.
Auf einer Holzplatte montiert, mittels einer Kurbel zu bedienen, können die Finger der Hände einzeln über aufgemalte Tasten oder geblümte Tischplatten gleiten.
Der Aufbau der Hände ist vorgegeben, die Ausführung ist – wie in der Natur – bei jedem anders. Es gibt lange, gerade, gebogene, kurze, lackierte, helle und dunkle Finger. Ebenso gibt es gleichmäßige Greifbewegungen (Akkorde ?) und einzelne Abfolgen (Tonleitern ?). Und eben den Galopp der Ungeduld.
Zuerst analysieren wir einfache Bewegungsmuster anhand von mitgebrachtem beweglichem Spielzeug. Wir reflektieren die einfachen Bewegungsgesetze: wie funktionieren Kurbel, Pfeil, Wippe, Pendel, Kreisel... was bedeuten Antrieb, Reibung, Fliehkraft, Hebel, Stabilität. Dann nutzen wir die Theorie für die Praxis.
Wir brauchen für große Holzräder die Kreisfräse, für die vielen Finger die Laubsäge, für das Gestell japanische Sägen und Akkuschrauber, und alles muss glatt geschliffen sein. Beim Bauen erlernen die Schüler handwerkliche Techniken und den Umgang mit allerlei Werkzeugen.
Jeder Schüler entwirft für seine Hände ein eigenes "Programm", einen eigenen Bewegungsablauf.
Gefördert werden: Experimentierfreude, handwerkliches Geschick, sprachlicher Ausdruck, logisches Denken, poetische Offenheit, Sinn für Komik und Absurdität.
Wir wecken Interesse an Kunst und Physik und fördern eine ergebnisoffene und vielseitige Herangehensweise an abstrakte Inhalte.
Ein Tagebuch für Texte, Bilder und Skizzen begleitet die praktische Arbeit der Teilnehmer. Wir arbeiten darin täglich gemeinsam, es kann aber auch jederzeit frei gearbeitet werden. Hier werden Entwürfe gemacht, Ergebnisse und Ideen festgehalten, man kann sich auch mal zurückziehen und vertiefen, um in Ruhe zu zeichnen, wenn sonst an anderer Stelle gewartet werden muss.
PRÄSENTATION
Stellen wir nun alle Hände nebeneinander auf, entsteht der Eindruck allergrößter Geschäftigkeit. Alle haben ja "alle Hände voll zu tun". Ob es nun alles Pianisten sind oder ungeduldige Zuhörer, Computerfreaks, Masseure oder Köche – das wird sich erst noch zeigen.
Ein Tag der offenen Tür, ein Schulfest oder eine Extraeinladung bietet den Eltern, anderen Kindern und Lehrern Gelegenheit, die Uraufführung mitzuerleben.
Wir beginnen wie bei den Kindern mit der Vorstellung von mechanischem Spielzeug. Auch für die Großen ist das eine lustige Sache, auch sie erliegen der Faszination eines schönen Farbkreisels, der Genialität der einfachen Mechanik eines Handquirls, dem Charme eines Kopfwackelnden Ziehtieres, der Komik eines hoppelnden Clowns…mache Sachen aus der eigenen Kindheit rühren an – den Brummkreisel hatte ich auch…das Finden der physikalischen Begriffe ist natürlich ein Kinderspiel für diese Klasse, Schwerkraft, Fliehkraft, Reibung… Kann man das kleinen Kindern erklären? Das meiste nutzen und beherrschen sie ja längst! Sie können Hulahoop tanzen und Einrad fahren. Eigene Erfahrungen aus den verschiedenen Kitas strömen ein.
Wir bauen genervte Hände, die aber selbst soviel Krach machen in ihrer Gereiztheit, dass sie selbst wieder schon wieder nerven. Das Gespräch dazu beginnt zaghafter als mit den Kindern, bei denen meist ein "Wettstrecken" beginnt. Die Großen sind anfangs zurückhaltender, vorsichtiger, distanziert, ironisch. Dabei hat auch jeder Erwachsene etwas, das ihn zur Weißglut bringt. Im Tagebuch, das parallel geführt wird, werden die Situationen dann gezeichnet.
Das erste Werkzeug, mit dem wir die 10 Finger machen, ist die Laubsäge. Wir haben Schablonen dabei. Man kann sie abwandeln, verdicken, verdünnen, aber unsere Hände sind schön, sie werden übernommen. Mit Geduld, Detailliebe, Perfektionismus und Geschick entstehen nun Stück für Stück die kleinen Maschinen. Eine Nockenwelle wie bei einer Spieluhr gibt den einzelnen Fingern den Impuls, zu klopfen. Man kann eine Reihenfolge programmieren. Die Maschinen werden alle sehr verschieden, werden immer genauer gestaltet. Die Klasse arbeitet ruhig, vertieft und mit Vergnügen, ohne die getriebene Eile der Kinder. Das Tagebuch führen wir parallel zum Bauen, zeichnen unsere Hände, kleben Bilder ein von Handzeichen, ein Fingeralphabet, und ein Bild von Martin Riches' "Thinking flute machine" als Beispiel einer künstlerischen Klangmaschine (Videostill, vorher gemeinsam angesehen). Manche Hände werden mit langen farbigen Nägeln versehen, mit Ringen geschmückt, manche surreal gefärbt, Männer- und Frauenhände klopfen, alle scheinen letztlich doch ihre eigenen zu meinen, ihre eigene Ungeduld im Angesicht von roten Ampeln, verlorenen Schlüsseln, geleerten Konten, übereifrigen Eltern auf Spielplätzen…
Die abschließende Vorstellungsrunde ist auch sehr unterhaltsam, jeder gibt seine Geschichte für alle anderen mit Liebe zum Besten. Für uns war es eine spannende und entspannte Woche.
zehn Finger hab ich an jeder Hand
fünfundzwanzig an Händen und Füßen
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