4. - 8. Juni 2012
Große Kreisel, das heißt G R O S S E Kreisel, stehen im Mittelpunkt des Projektes: wir wollen alles zum Rotieren bringen, das sich dem nicht zu widersetzen weiß. Wir werden viele unterschiedliche Kreisel bauen und sie tanzen lassen.
Die Fliehkraft in all ihren Facetten und Wunderlichkeiten zu erkunden ist das Ziel.
Das heißt auch, sie zu nutzen, um nasse Farbe in Schwung zu bringen, an Ketten und Bänder Gegenstände zu hängen, um sie dann der Schwerkraft zu entreißen, und immer genau zu beobachten, wie weit das Auge diesem Sausen folgen kann und wann etwas Neues entsteht.
Kettenkarussell, Propeller und Schleifmaschine, Pirouetten drehen, Kugelstoßen und Lasso werfen – all das ist aus dem Alltag wohlbekannt und macht uns täglich Freude oder Ärger - nicht zu vergessen der nasse Hund. Aber warum taugt der Becher mit eingetrockneter Farbe zum Spitzentanz, nicht aber der mit der frischen ?
Das Projekt beinhaltet praktische und theoretische Momente.
Der Umgang mit Werkzeug und Material ist ebenso wichtig wie das Begreifen der physikalischen Prozesse.
Montag, 4.Juni 2012
Die meisten Kinder der Klasse 7 b treffen wir gleich vor der Schule und lassen uns beim Ausladen helfen.
Im Klassenraum wird alles fix sortiert, jeder beschriftet sich mit seinem Namen und nach kurzem Sich-Bekanntmachen beginnen wir mit dem Vorführen und Betrachten von allerlei mechanischem Spielzeug. Wir wollen gemeinsam Bewegungsmuster beobachten und herausfiltern.
Einige sind interessiert bei der Sache, andere fühlen sich dafür erstmal zu alt. Erstmal.
Aber eigentlich macht es Spaß.
Die physikalischen Gesetze, die den einfachen Mechanismen zugrunde liegen, werden von den Schülern intuitiv befolgt und eingesetzt, aber selten benannt. Wir betrachten Kugel und Würfel, Ziehtier und Aufziehauto – und finden Stabilität und Labilität, Gleichgewicht und Ausgleich, Kraft und Reibung.
Reibung spielt immer eine wichtige Rolle und ist mal willkommen und manchmal nicht. Ein Sortiment verschiedener Kreisel und andere Drehspielzeuge wie Jojos und Flugpropeller führen immer näher an das Thema heran. Hebel, Fliehkraft, Schwerkraft machen wir uns bewusst, um sie später gezielt zu nutzen. Ein rohes und ein gekochtes Ei verdeutlichen die speziellen Eigenschaften fester und beweglicher Massen. Der Dreul zeigt die Verwandlung einer Bewegung von "auf-und-ab" zu "rundherum" - ganz schön viel Theorie.
Entspannend also die folgende "freie Spielzeit", in der alle Dinge noch mal ausprobiert werden können. Der Vogel , der auf der Nase schweben kann, ist der Favorit dieser Gruppe. Aber der aufziehbare Funkenzappler kommt gleich danach.
Ein Tagebuch begleitet uns durch die Woche. Jede Schüler bekommt ein großes Heft, das bereit liegt für Entwürfe, Ideen, Skizzen, für eigene Gedanken und für etwas Physik. Es ist gut bei Wartezeiten, wenn etwas trocknen muss oder die Sägen besetzt sind. Wir werden manchmal gemeinsam darin arbeiten, und jeder soll möglichst viel eigenes hineintun.
Zu Beginn soll jeder einige Stichworte zu den gesehenen Objekten aufschreiben und eine Skizze einer Sache in Bewegung zeichnen.
Wir teilen die Klasse in zwei Gruppen.
Die eine beschäftigt sich mit dem Bau verschiedener kleiner Kreiselobjekte aus Pappteilen. Der Anfang ist simpel – durch eine mittig gelochte Scheibe wird ein Stab gesteckt und verklebt. fertig. Und jetzt anmalen. Die Farbe ist hierbei das Interessante, denn jede nicht kreissymmetrische Malerei erfährt erstaunliche Veränderungen, wenn der Kreisel tanzt.
Spannend dabei ist auch, nachdem das Grundprinzip verstanden ist, eigene, erweiterte Formen zu bauen. Muss ein Kreisel immer symmetrisch sein ? Wir betrachten die Ballerina mit den ausgebreiteten Armen, deren Geschwindigkeit beim Anziehen der Arme zunimmt, den Motorradfahrer in der Kurve, der nicht auf die Straße fällt – hier kann man die Antworten finden. Ein Kreisel muss nicht rund sein – mit dem richtigen Verhältnis von Spitze und Schwerpunkt kreiselt auch ein langes Brettchen. Was muss man verändern, damit das funktioniert ? Scheitern gehört dazu.
Unser einfaltbarer Reisekreisel wird mehrfach kopiert und dann weiterentwickelt. Große Blumen, Rauten und Triangel...jeder vertieft sich in etwas anderes und findet ein eigenes Thema.
Im Anderen Raum stehen die Maschinen. Hier wird mit der Ständerbohrmaschine ein großer Kreis ausgesägt, eine Halterung wird gebohrt, schleifen und sägen sind ebenfalls nötig (warm machen für die Arbeit an den größeren Objekten), um am Ende ein kleines klassisches Kreiselspielzeug zu erhalten. Ein Holzkreisel, den man mit einer Schnur aufziehen kann und der, wenn er gut gebaut ist, sehr lange tanzen kann. Auch hier kann die Farbe das Auge beschummeln.
2.Tag, Dienstag, 5.Juni
Wir beginnen mit der Vorstellung des Gyroskops.
Das ist ein faszinierendes Gerät, denn es kann scheinbar schwerelos um einen Mittelpunkt schweben, wenn es richtig aufgezogen wurde. Das machen wir vor und lassen es die Kinder auch selber probieren.
Während Dinge wie das Verhalten der Stühlchen beim Kettenkarussell vertraut und erwartet sind, ist dieses Naturgesetz für die meisten sehr verblüffend und scheint den Naturgesetzen zu widersprechen. Daher sagt hier auch keiner : kenn ich schon, laaangweilig ! Die vom Fahrrad her vertraute Stabilität einer Drehbewegung erscheint, wenn sie der Schwerkraft entgegenwirkt, widernatürlich.
Die Kraft der Präzession wird auch deutlich, wenn man ein leichtes Kind mit schnell drehendem Rad auf ein bewegliches Brett stellt. Wird das Rad gekippt, dreht sich das Kind.
Wir bauen dieselben Dinge wie am Vortag, nur heute andersherum.
Zum Schluss: wir machen wir die Fliehkraft sichtbar, indem wir das Blatt auf einem großen Kreisel befestigen. Während er richtig gut läuft, (anfangs mit einem Seil aufgezogen, später am Akkubohrer festgeschraubt), träufeln oder schleudern die Schüler Farbe auf die rotierende Papierfläche. Mit Hingabe, denn das läuft natürlich sofort nach außen und ergibt wilde oder aparte Sonnen.
3.Tag Mittwoch, 6.Juni
Wir stellen Oskar Schlemmers "triadisches Ballett" vor.
Das ist ein ungewohnter Spitzentanz: Figuren, die aussehen wir aus Geometrieformen gebaute Puppen bewegen sich mechanisch auf gezirkelten Wegen ... sind das nun Menschen oder Puppen ?
Das Prinzip der Dreiteilung zieht sich hier als roter Faden durch alle Entscheidungen.
drei Figuren, drei Farben, drei Szenen ... so kann man zu Formen finden.
Das kann eine Anregung sein.
Dann stellen wir ein Spitzentanzobjekt vor, das durch sein exaktes Gleichgewicht auf einem zentralen Stachel schwebt. Nach diesem Muster soll gebaut werden.
Als Grund-Idee kann man sowohl das Atom als auch den Kosmos nehmen.
Kleine Gruppen tun sich zusammen. Die Kinder können wählen, ob sie an einem tragenden Gestell oder lieber an den "Satelliten" arbeiten wollen.
Beim ersteren muss man einiges beachten, Gewicht, Größe, Stabilität. Beim zweiten kann man einfach loslegen und das Material und die Werkzeuge erkunden. Und man muss seine Idee selber finden.
Heute gibt es also keine exakten Anweisungen, sondern Freiraum und Beratung für die, die das wollen. Das zur Verfügung gestellte Material ist vielseitig zu gebrauchen. Rundstäbe, jede Menge Holz, Peddigrohr, Draht, Perlen, Tischtennisbälle, Gummi, Schnur, Kork, Strohhalme...ebenso ist die Wahl des Werkzeugs frei. Akkubohrer, Sägen, Feilen, Hämmer stehen in großer Zahl zur Verfügung und die Bedingung ist nur, dass man es angemessen benutzt und sich z.B. Draht mit der Zange und nicht mit Schere oder Säge abtrennt.
Die Klasse ist ein bisschen wie ein Gefährt, das erst in Fahrt kommen muss. Scheu und Unsicherheit müssen überwunden werden, und dass man nicht genau gesagt bekommt, was man tun soll, macht auch nicht jedem Freude.
Aber irgendwann ist eine gute Betriebstemperatur erreicht und jeder hat zu tun.
4.Tag Donnerstag, 7.Juni
Wir beginnen mit dem Atommodell. Es ist aus dem Physikunterricht vertraut und wird uns gut erklärt. – und + Ladung , Anziehung und Abstoßung, Stabilität und Veränderung. Warum also fällt das Elektron nicht auf das Plusteilchen im Zentrum ? Es lebe die Zentrifugalkraft.
Johannes Kepler hat einen schwierigen, aber schönen Satz geschrieben darüber, dass wir unseren Geist zum Erkennen und nicht nur zum Überleben haben, auch wenn die Erkenntnis keinem direkten Nutzen dient.
Aber die blanke Praxis finden die Schüler spannender und scharren mit den Hufen.
Mit Orangerot, Petrol und Weiß darf angemalt, soll gemischt werden.
Ansonsten blind vor Möglichkeiten, kann man sich so auf einen Vorgang konzentrieren
Egal, wie die Farben verwendet werden, das Ensemble wird so optisch zusammengezogen.
Möglichst viele Farbtöne sollen die Schüler gewinnen, aber einige sind schwer empört.
Mit dem Ergebnis sind wir trotzdem ganz zufrieden, die Schüler auch.
Die Großen Gestelle und kleinen Gehänge werden nun miteinander verknüpft und auf große Holzständer, ebenfalls selbstgebaut, aufgelegt.
Manches wird noch verändert, die Gewichte müssen austariert werden, Positionen verschoben, Teile weggenommen... - eh sich die ausladenden Gebilde schwerelos um sich selbst drehen können.
Wir räumen alles andere weg und bauen eine Präsentation auf. Es sieht schön aus. Wir freuen uns an den Kombinationen und surrealen Momenten und besprechen mit den Schülern, wer dazu etwas sagen möchte, wer z.B. das Gyroskop präsentiert und erklärt und wer die tanzenden Objekte und Kosmoskaruselle vorstellt.
Die Tagebücher liegen offen zum Durchblättern bereit.
5.Tag Freitag, 8. Juni 2012
Präsentation
Drei Klassen kommen zu Besuch, der Reihe nach.
Die Gäste versammeln sich an der einen Wand, unsere Schüler gegenüber –
das ist nicht leicht für sie. Die fremden Kinder gucken und lachen und warten - .
Aber keiner bekommt den Mund auf. Wir müssen einspringen und selbst beginnen und Namen aufrufen. Einige Worte ziehen wir den Schülern dann auch aus dem Mund. Das Gyroskop ist auch hier ein Faszinosum. Aber der Stolz vom Vortag ist unendlicher Schüchternheit gewichen. (Jetzt kann man wenigstens mal ausreden )
Später erklären sie uns, dass sie Angst hatten, dass man sich hinterher über sie lustig machen könnte, vor allem ein ganz bestimmter Zehntklässler. Schade.
Wir bekommen den Tip, das nächste mal einen genauen Wortlaut gemeinsam auf Spickzettel zu schreiben. Werden wir machen.
Die kleinen Objekte werden heimgenommen, die großen Gebilde sollen im Schulflur unter die Decke gehängt werden – ein Aufstellen ist leider nicht möglich.
So entstehen im neuen Kontext Satellitenmodelle mit ansprechender Gestaltung und offen bleibender Funktionalität.
. . ...weniger